O.GRACKLAUER
VERLAG UND BIBLIOGRAPHISCHE AGENTUR
GEGRÜNDET 1862 IN LEIPZIG
INHABERIN ROSE M. MEERWEIN, M. A.
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Herrn
Walter Schwarz
Siesmayerstr. 12
6000 Frankfurt/M.
Berlin, 10.6.87 RN 22/11
Sehr geehrter Herr Schwarz,
vielen Dank für die Zusendung der Kopie von Herrn Bickels Bücherliste. Das Konvolut senden wir Ihnen mit gesonderter Post wieder zu.
Ungeachtet des mißlichen Umstands, daß uns von den insgesamt ca. 220/230 Druckseiten des Katalogs nur 6 Seiten in Ablichtungen vorliegen, haben glückliche Umstände doch ein ganz klares Ergebnis erbracht. Um dieses für Sie wichtigste und interessanteste Ergebnis vorwegzunehmen: der in jenen Druckseiten vorliegende Katalog ist der Katalog der Bibliothek des Kochkunstmuseums.
Noch eine Nachbemerkung zu jenen Druckseiten. Nachdem wir uns nun beim Kreuzvergleich zwischen Liste und Katalog noch einmal intensiv auch mit den Druckseiten beschäftigen mußten, können wir sagen, daß die in dem Band aufgebundenen Bogen Korrekturbogen sind. Die andere Möglichkeit, die wir ebenfalls in Erwägung gezogen hatten, daß es sich nämlich um Aushänger oder von der ausgedruckten Auflage genommene Bogen handeln könnte, ist auszuschließen. Dafür sprechen etliche Indizien. So z. B.: S. 198 3- Titel v. u., hier hätte bereits die Setzerei beim Korrekturlesen erkennen müssen, daß der Autorenname irrtümlicherweise doppelt gesetzt ist. Und wer immer für die auftraggebende Bibliothek Korrektur gelesen hätte, der hätte erkennen müssen, daß der nach “Senn, Charles Herman” auftretende Autor “Senn, Herman” ein und dieselbe Person sind (die Liste übrigens hat beide “Senn, Herman”-Titel des Katalogs richtig unter “Senn, C. Herman”). Überdies hat die Bibliothek offenbar nicht über besonders versierte Bibliothekare verfügt, dafür zeugt eine ganze Reihe bibliographischer Ungereimtheiten der Katalogeinträge. So z. B. nimmt diese Spezialbibliothek (sich etwas über die preußischen Instruktionen hinwegsetzend) das erste für ihr Spezialgebiet sinngebende Titelwort zum Stichwort für die alphabetische Titelanordnung (the Edgewater Beach Hotel SALAD BOOK), bricht aber dann wieder dauernd aus diesem selbstgemachten System aus (HOW to cook vegetables, statt How to cook VEGETABLES; 101 WAYS of cooking bananas, statt 101 Ways of cooking BANANAS, etc.). Das ist sehr irritierend für den suchenden Katalogbenutzer und kommt davon, wenn man sich über die preußischen Instruktionen hinwegsetzt. Aber diese bibliothekarischen Unzulänglichkeiten müssen wir eigentlich preisen – sie haben die Identifizierung des Katalogs erleichtert.
Um hierfür gleich ein Beispiel zu nennen. Der Katalog enthält auf S. 199 zwei Titel von Arnold Shircliffe: The Edgewater Beach Hotel Salad Book, und The Edgewater Sandwich Book. Hier hätte der aufmerksame Bibliothekar beim Korrekturlesen (wenn er schon vordem geschusselt hat) sofort stutzen müssen: Beim zweiten Titel stimmt doch was nicht? Klar, der zweite Titel ist unvollständig, richtig lautet er selbstverständlich: The Edgewater Beach Hotel Sandwich Book. Der Katalogzettel jedoch, der dem Schreiber der Liste vorlag (stammte er vom gleichen schusseligen Bibliothekar, oder von dessen ebenbürtigem Vorgänger?), hatte bereits die eine Hälfte des Fehlenden ausgelassen – Liste S. 167o. Nr. 1944: The Edgewater Hotel Sandwich Book.
Noch ein – besonders bezeichnendes, und für uns besonders glückliches Beispiel. Der Katalog führt S. 135u. einen Titel von Vincent La Chapelle in zwei Ausgaben an: The Modern Cook, Ausg. 1736 und Ausg. 1744. Hier verzeichnet er bei der Ausg. 1736: “1. 2. 3. ed.” Das ist natürlich falsch, denn die Ausg. 1736 war schlicht die Ist edition, die Erstausg. Offenbar ein Fehler des Bibliothekars; was er mit jenen Zahlen meinte, war: die Bibliothek besitzt 1. 2. 3- Exemplare der Ausg. 1736. Und so bestätigt es auch die Liste: S. 116o. sind, Nrn. 1352 – 1354, drei Expl. der Ausg. 1736 und, Nr. 1355, ein Expl. der Ausg. 1744 verzeichnet. Haargenau der Bestand, den die Liste ausweist, wird auch von dem Katalog (wenn auch auf etwas krumme Weise) bestätigt. Preisen wir also die schusseligen Bibliothekare!
Der Glückszufall hat es gewollt, daß unter den uns vorliegenden sechs Katalogseiten die S. 198f. sind, die zu Dreivierteln mit Titeln von Charles Herman Senn gefüllt sind – leider erst ab dem Stichwort Gastronomy, alles also, was etwa mit Cook, Cookery, Cooking eingetragen ist, fehlt bedauerlicherweise. Was uns aber vorliegt, reichte aus für die Identifizierung: Sämtliche im Katalog S. 198f. angeführten Titel verzeichnet auch die Liste. Diese völlige Übereinstimmung” schließt es aus, daß es sich bei dem Katalog um andere Bestände als die der Liste handeln könnte – eine andere Bibliothek als die, deren Bestände in der Liste und in dem Katalog aufgeführt sind, würde diesen oder jenen Titel vielleicht gar nicht oder in einer anderen Ausgabe besitzen oder würde diesen oder jenen Titel zusätzlich aufweisen, der in der Bibliothek des Kochkunstmuseums nicht vorhanden war. Daß die Liste, obwohl kürzer gefaßt und wohl rasch getippt, bibliothekarisch etwas präziser war als der Katalog, zeigt die Tatsache, daß in der Liste der zweite Vorname von Mr. Senn durchgehend richtig als “Herman” gegeben ist, und dies ist offensichtlich die korrekte Schreibweise (ein 1974 in den USA wiederaufgelegter Titel Mr. Senns von 1907, Cookery for Invalids & Convalescents, bestätigt das mit dem Autoreneintrag: Senn, C. Hermann). Hier irrt also der Katalog mit seinem “Herman” (meinte der Bibliothekar, er müsse dem britischen Autor unbedingt die im Englischen geläufige Schreibweise dieses Vornamens verpassen?). Und auch sonst enthält der Katalog Inkorrektheiten, die in der Liste nicht vorhanden sind. Beispiele: Katalog S. 199 2. Titel v. o. “Potato cookery” – die Liste hat richtig S. 164o. “Potatoe Cookery”; Katalog S. 199 4. Titel v. o. “The Art of cookery in olden time” – die Liste hat richtig S. 132 Nr. 1565 und S. 138 Nr. 1630 (die Bibliothek besaß 2 Expl. dieses Titels) “The Art of Cookery in ye Olden Time” (die Verunstaltung des Titels durch den Katalog entspricht der Wiedergabe des entspr. deutschen Begriffs “annodazumal” etwa als “annozumal”).
Was Sie, sehr geehrter Herr Schwarz, bei einem ersten Vergleich zwischen der Liste und dem Katalog irritierte und zu der Annahme führte, daß keine Übereinstimmung bestünde, war die Tatsache, daß das Ordnungssystem der Liste ein anderes ist als das des Katalogs. Auch in diesem Punkt aber ist uns das Glück freundlich entgegengekommen, indem es uns die “Benutzungs-Ordnung der Bücherei des Kochkunstmuseums” samt dem Überblick über das Ordnungssystem bewahrte, die Herr Blickel seiner Liste vorgeheftet hat. So läßt sich unmittelbar nachvollziehen, wie die Bibliothek in der Zeit zwischen ca. 1937, als die Liste aufgezeichnet wurde, und ca. 1943, als der Satz für den Katalog bis zum Umbruch gediehen war, ihr Ordnungssystem veränderte, um es handlicher und übersichtlicher zu machen.
Das Ordnungssystem der Liste hat
A Allgemeine Kochbücher
B Handgeschriebene Kochbücher.
Die Bibliothek hat danach die handgeschriebenen Bücher aus dem bisherigen System herausgenommen (vielleicht eine eigene Handschriftenabteilung, auch mit Menukarten etc., eingerichtet). Dadurch wurde der Ordnungsbuchstabe B frei für eine neue Verwendung, und glücklicherweise lassen die 6 uns vorliegenden Seiten des Katalogs erkennen, welcher Rubrik der Buchstabe B im neuen System zugeordnet wurde.
Das Ordnungssystem des Katalogs hat
A Kochbücher, allgemeine
B Kochbücher, spezielle.
Mehr noch, die 6 uns vorliegenden Seiten lassen uns sogar erkennen (und das ist wiederum vor allem den S. 198f. mit den diversen Titeln des Mr. Senn zu verdanken), wie die Unterrubrizierung der Sachgruppe B zwischen den Buchstaben a bis h aussah. Die beiden in Klammern stehenden Unterrubriken (b und d) treten auf jenen 6 Seiten nicht auf, sie sind in Analogie zu dem alten Ordnungssystem der Bibliothek erschlossen. ‘
Ba Vorspeisen, Käsegerichte
(Bb Suppen und Saucen)
Bc Eierspeisen
(Bd Fische und Schalentiere)
Be Zwischengerichte
Bf Salate
Bg Desserts, Nachspeisen
Bh Kalte Küche.
Das alte Ordnungssystem hatte die Buchbestände je nach der Sprache in vier Obergruppen aufgeteilt. Eine solche Aufteilung mag im Falle einer geisteswissenschaftlich orientierten Bibliothek noch einigermaßen angemessen erscheinen, im Falle der Bibliothek des Kochkunstmuseums jedoch, einer Fachbibliothek mit umfassenden Beständen, war das umständlich. Zusammengehöriges wurde dadurch auseinandergerissen, der Bibliothekar wie der Benutzer mußte, suchte er ein Buch zu einem bestimmten Thema (z. B. Diät für das Kleinkind), an vier verschiedenen Stellen nachsehen. Mag sein, daß der Hauptkatalog bei der Suche helfen konnte, indem er neben dem Autoren- und dem Titelkatalog auch noch einen Stichwortkatalog bereithielt – die Art der Bibliotheksführung, wie sie aus der Liste und ebenso aus dem Katalog ersichtlich wird, läßt allerdings kaum erwarten, daß man dort über eine so fortschrittliche Einrichtung wie einen Stichwortkatalog verfügte. Eher war es wohl so, daß man herumsuchte, bis man eben fand (oder auch nicht), was man suchte. Und schließlich – der Bibliothekar kannte ja seine Bestände genau, der ging nur einmal kurz zum Regal, schnappte sich einen Band und hielt triumphierend hoch, was man suchte. Gemütliche Zeiten müssen das gewesen sein, dort und damals!
Das neue Ordnungssystem der Bibliothek jedenfalls räumte mit diesem Unsinn auf. Der Katalog führt die Autoren und Titel, ohne Rücksicht auf die jeweilige Sprache der Veröffentlichung, kontinuierlich in einem Alphabet auf. Das alte Ordnungssystem behielt man für einzelne Sachgruppen bei, indem man nur die nicht-deutschsprachigen Titel entsprechend einordnete (die kargen 6 Seiten lassen es nicht zu, in größerem Umfang Zusammenhänge herzustellen). Zu erkennen ist beispielsweise, daß die folgenden Sachgruppen des alten Ordnungssystem beibehalten wurden (und dies ist zugleich ein weiteres Indiz dafür, daß die Bibliothek der Liste und die Bibliothek des Katalogs identisch sind):
D Gastronomie, Eßkunst etc.
G Getränke und Weinkunde
H Hauswirtschaft.
Dazu gehört auch die bereits erwähnte Sachgruppe: A Kochbücher, allgemeine
Verschiedene Sachgruppen wurden aber auch verändert. So hat das neue Ordnungssystem
F Einmachen und Konservieren.
Der Buchstabe F bezeichnete im alten System: Speisekarten und Menü – daß diese Spezies im neuen System nicht mehr vertreten ist, darf als ein weiterer Hinweis auf die bereits geäußerte Vermutung gedeutet werden, daß die Bibliothek alles Handgeschriebene in einer eigenen Handschriftenabteilung zusammengefaßt haben könnte (falls nicht jene Rubrik im alten System mit “Speisekarten und Menü” irreführend benannt ist und in Wahrheit etwa hätte benannt werden müssen “Hauptmahlzeiten mit Speisenfolge”).
Das neue Ordnungssystem hat
K Hotelbetriebslehre.
Der Buchstabe K bezeichnete im alten System: Spezialkochbücher – diese aber konnten, wie oben bereits dargelegt, im neuen System unter dem freigewordenen Buchstaben B (im alten System: B handgeschriebene Kochbücher) rubriziert werden.
Freigeworden für die Neuordnung waren zuguterletzt die Buchstaben ab P, unter denen das alte System die nicht-deutschsprachigen Titel sowie Zeitschriften, Handschriften und Broschüren rubriziert hatte. Das neue System war offensichtlich (soweit das die 6 Seiten erkennen lassen) aus schließlich den Beständen an Büchern, also in Buchform veröffentlichten Druckwerken, vorbehalten. Der Buchstabe P ist auf den 6 Seiten nur mit einem einzigen Titel vertreten, der leider eine eindeutige Benennung der Rubrik nicht zuläßt; zu vermuten wäre etwa: Hauptmahlzeiten mit Speisenfolge. Der Buchstabe Q tritt auf den 6 Seiten überhaupt nicht auf; zu vermuten wäre, daß man diesen unhandlichen Buchstaben im neuen System nicht mehr benutzt hat. Drei weitere Sachgruppen des neuen Systems aber lassen sich dank der 6 Seiten eindeutig benennen.
Das neue Ordnungssystem hat
R Lexika, Nachschlagewerke (im alten System:
R Fanzösischsprachige Titel; zu dieser
Rubrik vgl. unseren vorangegangenen Brief)
S Nahrungsmittelkunde (im alten System:
S Zeitschriften)
T Kochkunst vergangener Zeiten, Geschichte der Kochkunst (im alten System:
S Handschriften).
Wir legen Ihnen die Schmierzettel bei, die wir während der einzelnen Phasen unserer Arbeit am Puzzle vollgeschrieben haben. Vielleicht können Ihnen diese von Nutzen sein, wenn Sie sich selbst noch einmal von einzelnen Details überzeugen wollen. Insbesondere erlauben Ihnen die ersten 3 Blatt des Päckchens ein schnelles Auffinden der entspr. Titel in der Liste, falls Sie einen Vergleich zwischen Titeln des Katalogs und Titeln der Liste anstellen wollen.
Summa summarum: Die mühselige und zeitraubende Arbeit zur Lösung des Vexierspiels hat dank glücklicher Umstände am Ende zu dem konkreten Ergebnis geführt, daß der in Druckseiten vorliegende und Ihnen zugängliche Katalog den Bücherbestand der Bibliothek des Kochkunstmuseums verzeichnet. Gestatten Sie zum Schluß noch eine Anmerkung. Wollte man darangehen, den Katalog im Druck herauszubringen, sei es als schlichter alphabetischer Katalog oder nach entspr. Neuordnung als Bibliographie, so wäre dringendst anzuraten, daß man als erstes die Druckseiten von einem versierten Fachmann Titel für Titel durchsehen und korrigieren ließe. Dieser Fachmann brauchte noch nicht einmal spezielle Kenntnisse des Sujets, der Kochkunst, zu besitzen, er müßte nur die besondere “bibliographische Nase” haben, die ihn sofort wittern läßt, daß dies oder das nicht stimmt, eben weil es irgendwie “komisch riecht”. Es wäre allerdings eine horrende, zeitraubende und kostenintensive Arbeit, insbesondere, da sich dieser Fachmann eben leider nicht in die verlorene Bibliothek setzen kann, um, sobald ein Titeleintrag “komisch riecht”, das betr. Buch vom Regal zu nehmen und anhand des Originals die Angaben zu korrigieren. Ob sich diese Arbeit lohnt, ob sich überhaupt die Veröffentlichung des Katalogs lohnt – das zu beurteilen müssen wir dem Sachverständigen überlassen.
Wir hoffen, Ihnen mit unserer Arbeit gedient zu haben. Wir bedauern selbst, daß wir die Ergebnisse nur in so umständlicher Form darlegen können, aber ein Indizienbeweis ist nun einmal nicht mit ein paar kurzen und knappen Angaben zu führen.
Für unsere Bemühungen erlauben wir uns, wie bereits vereinbart, den Honorarbetrag von DM 500,— in Rechnung zu stellen, der jedoch in Anbetracht der geleisteten Arbeit wirklich lächerlich gering ist – Sie kennen ja unseren Stundensatz von DM 80,—.
In der Annahme, daß Sie zufrieden sein werden, nunmehr Gewißheit hinsichtlich des Katalogs erlangt zu haben, verbleiben wir
mit freundlichen Grüßen
0. G R A C K L A U E R
gez. Dr. Georg G. Meerwein